Zurück zu den “Joggels”

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Ein Blick in meinen Stammbaum zeigt: Die Schweiz vernachlässigt die Wurzeln ihres Wohlstands. Dafür sind andere Weltregionen dabei, sie zu entdecken.

Ich mache mir Gedanken über die Zukunft, weil ich die Vergangenheit meiner Familie studiert habe und dies meine letzte Kolumne ist. Meinen Stammbaum kann man im Jahr 1635 bei den Borner-«Joggels» von Rickenbach SO verwurzeln. In den folgenden mehr als 300 Jahren waren alle Nachfahren Kleinbauern, Taglöhner, Söldner in Frankreich oder bestenfalls Handwerker und später einfache Eisenbahner, vorwiegend im Raume Olten. Höhere Bildung oder höhere Positionen fehlen – mit der Ausnahme eines Lehrers.

Erst meine Generation hat haufenweise Kaufleute, Ingenieure, Akademiker, Lehrer und ­Unternehmer vorzuweisen. Unsere Generation wurde in eine einmalige Wachstumsphase hineingeboren, welche auch den unteren Schichten echte Aufstiegschancen ermöglichte.Meine Vorfahren waren weder dümmer noch fauler, aber sie hatten keine liberalen Rahmenbedingungen. Warum sehe ich die Zukunft für unsere Enkel und Ur­enkel nicht mehr so rosig? Und wie kann verhindert werden, dass sie wieder zu «Joggels» werden?

Da wäre einmal der Souveränitätsverlust der Schweiz. Im letzten Jahrhundert haben wir uns gleich aus zwei Weltkriegen heraushalten können – der bewaffneten Neutralität sei Dank. Heute sind nicht mehr Kriegsdrohungen das Problem, sondern unsere freiwillige und proaktive Unterwerfung unter internationale Organisationen. So haben wir der OECD unseren Finanzplatz weitgehend geopfert oder der Uno (wohl als einziges Land auf der Welt) die Agenda 2030 für ein illusio­näres grünes Wachstum überlassen. Beim Klimaabkommen von Paris haben wir uns nicht wie die EU über den Tisch ziehen lassen, sondern sind gleich freiwillig als Sündenbock unter den Tisch gekrochen. Und vor lauter Angst, die Bilateralen zu gefährden, werfen wir unseren vielleicht grössten Trumpf, nämlich den freien Arbeitsmarkt, den Gewerkschaften und staatlichen Bürokratien zum Frass vor. Französische Verhältnisse stehen vor der Tür.

Das zweite Grundproblem ist der Realitätsverlust breitester Kreise als Folge einer gesellschaftlichen Wohlstands-Schizophrenie. Wir sind das reichste Land der Welt mit der höchsten Lebenserwartung, aber haben 20 Prozent Arme oder unterversorgte Alte. Die demografische Entwicklung hinterlässt deutliche Spuren, aber die Erhöhung des Rentenalters oder die Senkung des Umwandlungssatzes sind Tabus. Wir können uns alles leisten und ­lösen Luxusprobleme – wie zu viel Konsum von Strom, Fleisch oder zu viel Reisen durch moralisierende Suffizienz oder, wenn das nicht reicht, halt durch gesetzliche Verbote.

Naturgesetze in den Wind geschlagen

Eine weitere Schizophrenie befällt Wissenschaft und Technik. Zum einen sind wir naturromantisch für Bio, gegen genveränderte ­Nahrung und gegen Pestizide, dafür aber für Sonne, Wind und Biomasse, obwohl Letztere einen ökologischen und zivilisatorischen Rückschritt ins tiefste Mittelalter mit sich brächten. Der technische Fortschritt wird durch moralisch-ideologisches und politisch korrektes Wunschdenken geleitet, wobei die ehernen Gesetze der Physik in den Wind ­geschlagen werden. Das Geld fliesst dorthin, wo die Illusionen nur dank ihrer Zwillingsschwester, den Subven­tionen, überleben. Unsere zwei grössten Detailhändler kämpfen im TV nicht um Kunden, sondern überbieten sich in einer von jeg­licher Realität abgehobenen Bauern-­Romantik, die für meine «Joggels» von früher noch nackter Überlebenskampf war.

Die Schweizer Bevölkerung ­leidet unter einer Mischung aus schlechtem Gewissen wegen ihres Wohlstands und, daraus abgeleitet, Besserwisserei und Überheblichkeit, verbunden mit einer Ausblendung von all dem, was auf der Welt wirklich passiert. Der Klimaschutz ist ein Problem, aber ­eines unter vielen, die wir erst noch viel besser lösen könnten, wenn wir denn wollten. Zu denken ist hier an Hunger, Krankheit, korrupte ­Diktatoren, verrückte Kriege und Natur­katastrophen oder Ressourcenverschwendung (z. B. für Wärmedämmung oder Stromsparen).

Aber die Spitzenpolitiker versammeln sich lieber unter der Obhut der Uno und geben ­leere Versprechen zum Klima ab, die erst nach ihrem längst erfolgten Abtreten scheitern müssen. Und die Schweiz ist da immer an vorderster Front mit von der Partie: als Musterschülerin und selbsternanntes Vorbild. Inder und andere Asiaten, aber auch Afrikaner und Südamerikaner wollen erst mal der Armut entfliehen und sich in Richtung eines besseren ­Lebens entwickeln. Sie sind die «Joggels» von heute, und ich wünsche ihnen viel Glück.

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