Die nobelpreisgekrönte Verhaltensökonomie dominiert je länger, je mehr und hat mit Laborexperimenten die mikroökonomische Forschung erobert. Seit Kahn…
Die nobelpreisgekrönte Verhaltensökonomie dominiert je länger, je mehr und hat mit Laborexperimenten die mikroökonomische Forschung erobert. Seit Kahneman und Tversky die kognitiven Grenzen des Menschen systematisch aufgedeckt haben, ist der Homo oeconomicus nicht nur moralisch, sondern auch theoretisch in Verruf geraten. Forscher finden immer neue Denk- und Entscheidungsfehler; wir sind inzwischen bei etwa sechzig Fehlerquellen angelangt, was rationales Entscheiden grundsätzlich infrage zu stellen scheint.
Das klassische Beispiel von Kahneman geht etwa so: Ein Golfschläger mit Ball kostet 110 Franken, die Differenz zwischen dem Schläger und dem Ball ist 100 Franken – wie viel kostet der Ball? Intuitiv nennen die allermeisten einen Preis von 10 Franken, was aber falsch ist; die richtige Antwort ist 5 Franken, was mit ein klein bisschen Algebra sofort herauskommt. Intuitive Schnellschüsse und Fehlschlüsse durch «schnelles Denken» sind alltäglich, ebenso optische Täuschungen oder logische Widersprüche bei entsprechendem «Framing». Wie praxisrelevant ist also die Kritik der Verhaltensökonomen? Was Kahneman vorlegt, ist eine simple, aber vertrackte Rechenaufgabe und keine realistische Entscheidungssituation im Markt. Wir kaufen Schläger und Bälle separat (Letztere kaufen wir häufiger und meistens in der Mehrzahl); die Preise pro Stück sind transparent. Wir müssen sie nur vergleichen und können die Algebra getrost vergessen. Aber bitte nicht das ökonomische Denken. Warum sind (zumindest auf den ersten Blick) Multipacks in der Praxis und im Gegensatz zum Zahlenbeispiel «billiger» als die Summe der Einzelpreise? Der Verkäufer will uns aus egoistischen Motiven dazu verleiten, etwas zu kaufen, was wir ursprünglich gar nicht wollten. Die übertölpelten Käufer sollten aber daraus lernen, dass sie Multipack-Angebote besser meiden.
Der Homo oeconomicus wurde nicht von Adam Smith erfunden, sondern war gewissermassen schon immer da, aber eben ohne freien und offenen Wettbewerb. Smith hat in seinen «Moral Sentiments» egoistisches Verhalten durchaus kritisch abgehandelt. Seine revolutionäre Erkenntnis war, dass es auf die institutionellen Rahmenbedingungen ankommt. Eigeninteressen sind in einem hierarchischen Feudalsystem schädlich, in einem freien und offenen Markt aber für die gesellschaftliche Wohlfahrt vorteilhaft. Entscheidend für das Marktergebnis ist der limitierende, disziplinierende Effekt des Wettbewerbs auf das Verhalten der Anbieter und nicht deren Motivation. Der Bäcker will nicht die Bevölkerung versorgen, sondern einen Profit erzielen. Aber der Wettbewerb zwingt alle Bäcker, die Bevölkerung zu ernähren, wenn sie ein Geschäft machen wollen. Man kann das rationale Verhalten im Eigeninteresse natürlich in vielen künstlichen Experimenten widerlegen, im Markt bleibt es trotzdem ein Überlebenskriterium. Auch die Politik versagt in der Regel dann, wenn sie das Eigeninteresse im Verhalten ihrer Adressaten ausblendet und nur auf ihre angeblich guten Absichten setzt. Anders als im Laborexperiment geht es im realen Leben ums Überleben im Zeitablauf. Und da zwingt uns eben der Markt unerbittlich, aus Fehlern zu lernen. Man kann (muss vielleicht sogar) Fehler machen, aber nicht allzu häufig – und vor allem nicht immer die gleichen. Ökonomisches Denken über positive und negative Anreize erklärt viel mehr, als die Verhaltensökonomen zugestehen wollen. Weil wir im Labor so viele Denk- und Entscheidungsfehler machen, wollen uns Verhaltensökonomen weismachen, es sei in unserem eigenen Interesse, vom wohlwollenden und allwissenden Staat gesteuert, bevormundet oder zumindest umerzogen zu werden. Doch auch die Politiker verfolgen Eigeninteressen. Und sie machen dabei eher mehr Fehler, weil sie die Folgen auf Steuerzahler und Konsumenten abwälzen können. Wenn Marktteilnehmer falsch entscheiden, büssen sie dagegen meist selber dafür, oder der Markt greift korrigierend ein – zumindest solange noch Wahlfreiheit besteht. Das ist leider bei hoheitlich durchgesetzten Politikfehlern wie etwa der Energiewende nicht der Fall.
Im freien Markt gibt es Konkurrenten, die um Kundschaft kämpfen und so einen Preis-, Qualitäts- und Innovationswettbewerb lancieren. Demgegenüber ist aber die Krankenversicherung obligatorisch. Bundesrat Berset kam unlängst zum Schluss, dass die Versicherten bei den Kombinationen von Franchise und Prämie zu «rational» (im Sinne von eigennützig) handeln und damit die «Solidarität» untergraben, was gesetzlich zu korrigieren sei.
Was gilt jetzt? Zu rational oder zu wenig rational? Je nach Lust und Laune will der Staat so oder so eingreifen. Wir haben in der privaten Wirtschaft zudem noch ein Kartellgesetz, das «wirksamen» Wettbewerb sicherstellen soll, sowie ein Gesetz gegen «unlauteren» Wettbewerb, das «Fairness» in der Anpreisung garantieren soll. Bei staatlichen Monopolen oder Obligatorien fehlt nicht nur die Wahlfreiheit, sondern auch der Schutz vor obrigkeitlicher Manipulation. Diese antiliberale Tendenz ist in der ökologischen Verabsolutierung von moralischer statt marktwirtschaftlicher Effizienz und verordneter statt freiwilliger Suffizienz besonders schwerwiegend.
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