FSC – wenn der BS knüppeldick kommt

So schreibt Coop auf ihrer Homepage, dass FSC-Holz sowohl während des Anbaus als auch bei der Verarbeitung strenge ökologische und soziale Standards einhalte. Und auch Migros will gemäss Homepage die Ressourcen des Waldes nachhaltig genutzt wissen und setzt auf eine umwelt- und sozialverträgliche Forstwirtschaft.

Zum Beispiel FSC-Holz aus dem Kaingaroa Forest

Leider wissen die wenigsten Schweizer Konsumentinnen und Konsumenten, was FSC eigentlich genau bedeutet. Deshalb hier ein Beispiel aus Neuseeland, wo ich mich gerade befinde. Neuseeland entspricht bezüglich Landesfläche, Bewaldung und FSC-Zertifizierung in etwa Deutschland. Die Bevölkerungsdichte ist allerdings eine Grössenordnung kleiner. Seit Polynesier vor etwa 700 Jahren in Neuseeland einwanderten, hat sich die Natur stark verändert. Waldbrände, empfindliche endemische Tierarten, Siedler oder aus anderen Erdteilen eingeschleppte Pflanzen und Tiere haben in wenigen Jahrhunderten zu dramatischen Veränderungen geführt. Die natürliche Bewaldung hat von 80% auf 25% der Landesfläche abgenommen und viele verbliebene Wälder sind ausgeholzt und degradiert. Typische Arten sind unter anderem Südbuche, die wunderschönen Baumfarne oder der gigantische Neuseeländische Kauri-Baum. Letzterer ist jedoch selten geworden, obschon vier Fünftel der natürlichen Wälder dem Staat gehören und absolut geschützt sind (Roche 2017). Holz, welches nach Fleisch- und Milcherzeugnissen das drittwichtigste Exportprodukt des Landes ist und 3% zum Bruttosozialprodukt beiträgt, kommt daher heute zu 99% aus Holzplantagen.

Die Holzplantagen machen 7% der Landesfläche aus, was der halben Schweiz entspricht. Sie bestehen zu 95% aus der kalifornischen Monterey-Kiefer (Pinus radiata) und werden alle 30 Jahre eingeschlagen. Die Plantagen finden sich mehrheitlich auf der Nordinsel in einer von früheren Vulkanausbrüchen geprägten Landschaft, deren Aschenböden einen Kobaltmangel aufweisen und sich deshalb als Weide nicht eignen. Die bekannteste Plantage ist der Kaingaroa Forest, die von Kaingaroa Timberlands Ltd. bewirtschaftet wird. Sie wurde in den 1920er Jahren östlich des Tauposees angelegt, gehört mehrheitlich der staatlichen kanadischen Pensionskasse, ist grösser als der Kanton Tessin und die grösste Holzplantage der südlichen Hemisphäre, wird professionell und unter Einsatz von vielen chemischen Stoffen aufgebracht – und ist zu 100% FSC-zertifiziert. Das Föhrenholz geht per Bahn oder Lastwagen nach Tauranga und wird meistens unverarbeitet als Rundholz nach China oder Südkorea verschifft. Dort wird es weiterverarbeitet und findet vermutlich auch immer wieder seinen Weg in unser Migros oder Coop.

Damit man sich von dieser Plantagenwirtschaft ein Bild machen kann, lege ich einige Fotos dazu und habe ein Panoramabild zum Herabladen vorbereitet. Die Bilder, welche teils nahe des touristischen Ortes Taupo aufgenommen wurden, geben uns Einblicke in die zeitgenössische Produktion einer Commodity. Die Landschaft, wie gesagt von der Grösse der halben Schweiz, darf weder betreten werden noch will man sie betreten. Sie ist ausschliesslich der Holzproduktion gewidmet – was Fachleute als monofunktional bezeichnen – und dürfte den Negativweltrekord für möglichst wenig Tier- und Pflanzenarten pro Fläche aufweisen.

Was garantiert das FSC-Label?

Soweit die Fakten. Nun, ist die Zertifizierung des Kaingaroa Forest ein Fehler? Nein, das FSC-Label wird zwar als Öko-Label bezeichnet. In Tat und Wahrheit ist es aber in erster Linie ein Managementsystem und funktioniert damit sehr ähnlich wie die Normenfamilien ISO 9000 und ISO 14000. Kurz und bündig: Managementsysteme garantieren einzig, was die Manager wollen. Genau so wenig, wie ein ISO 9001-Label hohe Qualität garantiert, garantiert das FSC-Label hohe Umweltstandards. Das Label besagt einzig, dass eine Reihe von Dingen vom Management bewusst gesteuert statt dem Zufall überlassen werden. Was im Kaingaroa Forest genau gesteuert wird, kann jedermann auf 63 Seiten im Management Plan von Timberlands nachlesen. FSC wirkt also nicht in erster Linie normativ, wenn auch die FSC-Länderorganisationen, wie in der Schweiz geplant, die Vorschriften national verschärfen dürfen. Das Label bedeutet vielmehr, dass das zertifizierte Holz aus Betrieben stammt, welche

  • mit bürokratischen Prozeduren geführt sind,
  • häufig grosse Unternehmen sind,
  • die nationalen Gesetze einhalten,
  • sich für alle zehn FSC-Prinzipen Ziele einsetzen und deren Umsetzung kontrollieren,
  • eine nachhaltige Holzproduktion anstreben und
  • ihre Wälder mit hohem Schutzwert kennen und diese besonders behandeln.

Der FSC – keine Erfolgsgeschichte

«Forest For All Forever» heisst der Claim des FSC, was ziemlich an der Realität vorbei geht. Weltweit sind rund 5% aller Wälder zertifiziert, die Hälfte davon in Kanada und Russland. Zwar gibt es auch FSC-zertifizierte Wälder in Brasilien und Indonesien, aber diese stellen eine Minderheit dar. Nur etwa 10% der zertifizierten Wälder befinden sich in den Tropen. Damit verfehlt der FSC aber seine bei der Gründung 1993 in Toronto formulierte Absicht, nachhaltig produziertes tropisches Holz zu kennzeichnen. Das Label wurde damit seinen nordamerikanischen Stallgeruch nie los und präsentiert sich heute schon fast als Marktabgrenzungsstrategie und Vermarktungskooperation borealer Holzproduzenten.

Dass «Forest For All Forever» eben nur ein wenig bis gar nicht realitätsbezogener Claim ist, zeigt sich deutlich am Kaingaroa Forest. Erstens handelt es sich nicht um einen Wald, sondern klar um eine Holzplantage. Zweitens darf diese von der Bevölkerung nicht betreten werden. Und drittens ist höchst unsicher, inwiefern diese Art der Hochrisikoproduktion langfristig tatsächlich ökologisch, wirtschaftlich oder politisch funktioniert.

Der FSC aus Sicht der Schweizer Wald-Doktrin

Aus Schweizer Sicht kommt der FSC-Bullshit aber knüppeldick. Die Doktrin der Schweizer Waldpolitik lässt sich mit sechs Kernprinzipien umschreiben. Davon erfüllt Holz aus FSC-zertifizierten Wäldern im besten Fall jenes der (1) Nachhaltigkeit. Damit ist bei FSC gemeint, dass der Waldeigentümer nicht mehr Holz einschlägt als nachwächst. Dieses Prinzip, obschon immer wieder hochgelobt, ist natürlich ein bisschen ein Witz. Jeder einigermassen vernünftige Akteur hat selber das grösste Interesse daran, es einzuhalten. Genau so wenig wie man dem Milchtproduzenten verbieten muss, seine Kühe zu essen, muss man dem Waldeigentümer vorschreiben, seinen Wald nicht zu übernutzen.

Interessanter wird es jedoch bei den anderen fünf Kernprinzipien der Schweizer Doktrin, weil deren Einhaltung dem Waldeigentümer Kosten verursachen, man könnte auch sagen «weh tut». Nun die Prinzipen sind (2) Rodungsverbot, (3) Pflicht zum Rodungsersatz nach ausnahmeweisen Rodungen, (4) freies Betretungsrecht des Waldes für jedermann, (5) Kahlschlagverbot und (6) Multifunktionalität. Nun alle diese fünf Prinzipen kann das FSC-System auf keine Art und Weise garantieren! Ja, nicht einmal das zentrale Rodungsverbot, weil in der Realität das Prinzip sehr einfach umgangen wird, indem der zu rodende Wald einer Schwester- oder Tochtergesellschaft übertragen wird.

Fazit

Anders als in Deutschland, Frankreich oder Italien, ist die Schweizer Waldwirtschaft auf den FSC-Zug aufgesprungen. Heute ist rund die Hälfte der Schweizer Waldfläche FSC-zertifiziert. Vermutlich hat dabei besonders die positive Haltung der Grossverteiler gegenüber dem FSC-Label eine Rolle gespielt. Warum «kleine» Schweizer Waldeigentümer sich jedoch mit grossen internationalen Holzproduzenten wie Kaingaroa Timberlands Ltd. ins gleiche Boot setzen, um ihr Holz zu vermarkten, bleibt etwas schleierhaft. Hat man hier nicht seine guten Spielkarten freiwillig mit schlechteren eingetauscht? Gewinnbringend ist das Geschäft für die Waldeigentümer jedenfalls nicht, wie eine Arbeit von der Hafl in Zollikofen zeigt (Brülhart et al 2011). Für die Zertifizierungsgesellschaften und deren Zertifizierer dürfte die Rechnung schon eher aufgehen. Für die Konsumentinnen und Konsumenten bringt das Label herzlich wenig. Dessen Erfolg in der Schweiz beruht in erster Linie auf Missverständnissen und vermag die ökologischen oder sozialen Standards, welche Holz mit Herkunft Schweiz oder Mitteleuropa immer erfüllt, nicht im Geringsten zu garantieren.


Referenzen

  • Brülhart S, Pauli B, Peter L (2011) Kosten und Nutzen der Waldzertifizierung für die Schweizer Waldeigentümer. Schweiz Z Forstwes 162: 2–10
  • Roche M (2017) Forest governance and sustainability pathways in the absence of a comprehensive national forest policy – The case of New Zealand. For Pol Econ 77: 33–43.

Kahlschlag im Kaingaroa Forest südöstlich von Taupo, Fläche ca. 5 Quadratkilometer, Bildwinkel 180°. Zur Illustration dient auch ein Luftbild von Google. Foto: Martin Hostettler, 25. Dez. 2017.

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Dateiname: Kaingaroa-Forest-Taupo-171225.pdf
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Text Miniaturbilder

Bild 1: Kahlschlag in den Hügeln südlich von Opotiki. Kahlschlägen in steilen Hängen, auch bei hocherosiven Böden, sind immer wieder anzutreffen. Bild 2: Kahlschlaglandschaft in den Hügeln bei Hawke’s Bay. Die Plantagen mit Monterey-Kiefer sind an ihrer dunkelgrünen Farbe einfach zu erkennen. Im Bild zu gut erkennen sind die grossen Holzhaufen nach der Schlagräumung. Bild 3: Kahlschlaglandschaft in der Nähe von Gisborne. Bild 4: Zutrittsschranken im Kaingaroa Forest. Bild 5 und 6: Blick in das Innere des Kaingaroa Forest. Die Plantage ist kaum begehbar und angesichts der Lichtverhältnisse kaum mit Unterholz bewachsen. Bei Durchforstungen wird das Holz, auch bei bereits ansehnlichen Durchmeessern, liegen gelassen. Bild 7: Widerbepflanzung der Schlagfläche. Für jede Kiefer wird mechanisch mit schwerem Gerät ein Pflanzhügel geschaffen. Alle Fotos: Martin Hostettler, 25. Dez. 2017.

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