Dazu habe ich eine Frage. Zunächst heißt es: “Soweit gewisse Herstellungs- und Betriebsprozesse in der Schweiz oder in anderen Ländern «Grünstrom» verbrauchen, müssen andere Herstellungs- und Betriebsprozesse im selben Ausmass zwingend auf andere Stromquellen ausweichen.” Das stimmt zweifellos, Doch was folgt daraus? “Solange in den betroffenen Ländern noch Fossilstrom benötigt wird – was noch fast überall in sehr hohem Masse der Fall ist -, muss die Ökobilanz der E-Autos mit den jeweils effektiven Netz-Strommixen kalkuliert werden.” Ist das nicht ein logischer Widerspruch? Bedeutet der erste zitierte Satz (ein wenig umformuliert) nicht, dass der zusätzliche Stromverbrauch neuer Produktsegmente zusätzliche fossile Stromproduktion in exakt dieser Höhe erzwingt? Warum sollte die Ökobilanz neuer stromverbrauchender Produkte dann mit Netz-Strommixen erstellt werden? Dieser enthält auch Grünstrom, der bereits Abnehmer hat und nicht noch einmal verbraucht werden kann. Muss für eine korrekte Klimabilanz solcher Produkte nicht ein (meist überwiegend fossiler) Marginalstrommix herangezogen werden? Zum Hintergrund meiner Frage: Schaut man sich Studien über Elektroautos mit wissenschaftlichem Anspruch an, so findet für die Klimabilanz in deutschsprachigen Studien zu ca. 80 Prozent, in englischsprachigen Studien zu ca. 50 Prozent der Durchschnittsstrom Anwendung – obwohl z.B. der Leitfaden zu Lebenszyklusanalysen der Gemeinsamen Forschungsstelle der Europäischen Kommission von 2010 genau für diesen Fall den Marginalstromansatz empfiehlt. Die Begründungen der Wissenschaftler für die Wahl der falschen Methodik lesen sich durchweg kurios. Beispiel („Electricity Generation in LCA of Electric Vehicles: A Review“ from Benedetta Marmiroli, Maarten Messagie, Giovanni Dotelli and Joeri Van Mierlo; August 2018): “…we think this is not the best option to inform policy makers on wide-ranging policies such as the paradigm shift in the transportation sector … considering EVs as the short-run marginal consumers in projected scenarios is not coherent when the goal is to inform policy makers on the introduction of EVs in the transportation system.” Reply
Kai Ruhsert fragt: “Warum sollte die Ökobilanz neuer stromverbrauchender Produkte dann mit Netz-Strommixen erstellt werden?” Das ist eine berechtigte Frage. Für gewisse Fragestellungen – etwa für die Ökobilanz der neuen E-Fahrzeuge bzw. der zusätzlichen Elektrifizierung des Verkehrs müsste man ausschliesslich eine Marginalbetrachtung machen – also bedingt der Zusatzstromverbrauch dieser Elektrifizierung zusätzlichen fossilen Stroms im aktuellen Mix. Für eine Einzelbetrachtung der Umweltbilanz eines E-Fahrzeuges würde ich aber den Strommix (Durchschnitt) zugrunde legen…. schliesslich geht es da auch ein wenig um die Frage “Huhn oder Ei – was war zuerst da? – die anderen Stromverbraucher oder das E-Auto?”. Das erste wären die ökologischen kurzfristigen Grenzkosten (short run incremental cost), das zweite die langfristigen Grenzkosten (long run incremental cost). Und in der langen Frist können wir davon ausgehen, dass alle Stromerzeuger skaliert werden…. Ich weiss, dass diese Antwort kompliziert erscheint. Der Grund liegt schlicht darin, dass die Frage eben nicht trivial ist.In der Regulierungsökonomie werden diese Fragen schon lange diskutiert… die Lösung ist, dass etwa bei der Regulierung von Interkonnektionspreisen LRIC (long run incremental costs) zugrunde gelegt werden sollten. Reply