Willkommen im Absurdistan der digitalisierten Schweiz

absurd.pngHeute wollen wir uns mit zwei besonders absurden Geschichten aus der digitalisierten Schweiz befassen.Stellen Sie sich vor, Sie müssten 50’000 Franken…

Fritz Sutter. Ehemaliger Präsident des Schweizerischen Telekommunikationsverbands Asut. Kolumnist von «Swiss IT Magazine».

Heute wollen wir uns mit zwei besonders absurden Geschichten aus der digitalisierten Schweiz befassen.

Stellen Sie sich vor, Sie müssten 50’000 Franken waschen. Nichts einfacher als das, denken Sie. Sie nehmen den Nachtbus, bezahlen den ÖV-Nachtzuschlag per SMS und Telefonrechnung, und schwuppdiwupp, schon sind wieder 5 Franken gewaschen. Wenn Sie jede Nacht fahren, ist das unversteuerte Vermögen nach schlappen 136 Jahren blitzsauber und porentief reingewaschen. Nehmen Sie sich aber in Acht, dass Sie nicht wegen Beihilfe zur Geldwäscherei erwischt werden. Das Bundesverwaltungsgericht büsste nämlich – halten Sie sich fest – Swisscom exakt wegen einer solchen SMS-Transaktion mit der Begründung, diese falle unter das Geldwäschereigesetz! Weltfremder ist zwar kaum möglich, aber wieso auch nicht? Erstaunlicherweise wurden Hofläden in Bonstetten, die Twint als Zahlungsmittel akzeptieren, bisher nicht bestraft.

Alle wollen mobil telefonieren, simsen und surfen. Aber bitte ohne Antennen! Unser zweites Beispiel behandelt die Parlamentsdebatte zur Motion des Nidwaldner Ständerates Hans Wicki. Er beantragte wegen des neuen Mobilfunkstandards 5G eine Erhöhung der Strahlungsgrenzwerte. Dazu muss man wissen, dass in der Schweiz nach wie vor massiv niedrigere Grenzwerte gelten als im Rest der Welt, ein Erbe aus der Zeit von Bundesrat Leuenberger, quasi Moritz’ Swissfinish. Dies, obwohl trotz intensiver wissenschaftlicher Forschung bis heute keinerlei gesundheitsschädliche Wirkungen der Antennenstrahlung festgestellt wurden.

Die Debatte zu den Mobilfunkgrenzwerten verlief denn auch ziemlich kurios. Ständerat Thomas Minder (genau, der vom Trybol-Mundwasser) lehnte eine Erhöhung ab wie schon zwei Jahre zuvor. Damals bezog er sein Votum auf einen Bauern, dem anscheinend bereits 23 Kühe wegstarben wegen einer Mobilfunkantenne. Minder gestand, was man ohnehin wusste: «Wir sind alle kaum Kenner der Materie, keine Techniker. Wir sind Politiker. Wir treffen heute einen politischen und keinen technischen Entscheid.» So einfach ist das.

Nach dieser pfefferscharfen Argumentation lehnte der Ständerat sicherheitshalber die Anhebung der Grenzwerte auf internationales Niveau ab. Kommt einem vor wie präventiv Schnee pflügen. Wir sind wir, wir sind Schweiz. Wir handeln nach dem Motto: Wir hören nichts, wir sehen nichts, wir wissen nichts, wir lesen im Kaffeesatz. So schützt der Ständerat die Vergangenheit vor der digitalen Zukunft. Besorgten Bürgern ohne esoterisches Fachwissen stellt sich jetzt unweigerlich die Frage, ob Minders Mundwasser nicht vielleicht doch nicht so harmlos ist, wie man meint.

Zuerst erschienen in Swiss IT Magazine Nr. 09, September 2018.

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1 thought on “Willkommen im Absurdistan der digitalisierten Schweiz”

  1. Herr Suter bagatellisiert den Nocebo-Effekt. Besonders strahlensensible Personen reagieren allein schon beim Anblick einer Mobilfunkantenne, auch wenn diese (noch) gar nicht in Betrieb ist. Dass sich Frauen besonders betroffen fühlen und auch schon mal Protestgrüppchen starten, hängt damit zusammen, dass auch in esoterischen Zirkeln sowie Tarot-Astrologiekreisen Frauen massiv übervertreten sind. In der Politik gilt die populäre Floskel “Wir müssen die Sorgen der Menschen ernst nehmen”! Ja, so funkitioniert Politik in der Demokratie: Nicht wissenschaftliche Fakten lenken die Politik, sondern die vorherrschenden Gefühle in der Bevölkerung: Man kann die empirisch gestützte Erkenntnis des Evolutionspsychologen Jonathan Haidt nicht genügend oft wiederholen: “Scientific thinking is not natural thinking, religious thinking is natural thinking.”

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